Das Südtiroler Dorf Sulden beeindruckt mit spektakulären Gletscher-Skiabfahrten, rassigem Snowboarden und jeder Menge Promis. Unterwegs mit Olaf Reinstadler, der Bergretter, Loipenfahrer und VIP-Guide in einer Person ist.
Wir beobachten weiter unten zwei Männer in roten Signaljacken. Sie suchen, was wir gerade vorsichtig umgehen. Wenn sie noch eine halbe Stunde aufsteigen, sind auch sie mittendrin in einem Gebiet voller Gletscherspalten. Das Duo gehört zur Bergrettung, bereitet eine Ausbildung vor, bei der Schützlinge lernen sollen, wie man verunglückte Wanderer und Skitourengeher aus Gletscherspalten birgt. „Wir spielen jedenfalls nicht die Opfer“, scherzt unser Bergführer Peter Reinstadler, der bald schon eine Schaufel auspackt und Stufen für uns schlägt, damit wir sicher auf die 3376 Meter hohe Suldenspitze kommen, um den Ausblick auf die grandiose Bergwelt und ins Tal genießen können.
Wir fragen uns allerdings, ob Tal das richtige Wort ist für das Südtiroler Dorf Sulden. Es liegt auf 1900 Metern. Wo andere Skigebiete aufhören, geht es hier erst los. Die Bahnen im Ort starten in drei Himmelsrichtungen. Wer hoch hinaus will, kommt mit dem Sessellift bis auf 3250 Meter. Uns hat die große Gondel heute auf 2600 Meter gebracht. Mit Fell an den Skiern sind wir über den Gletscher aufgestiegen und stehen nun mittendrin im Südtiroler Hotspot der hohen Berge. Gegenüber Königsspitze, Zebrù und Ortler. Letzterer ist mit 3905 Metern der höchste Punkt der autonomen italienischen Provinz und der höchste Berg in einem Umkreis von 50 Kilometern.
Die Abfahrt von der Suldenspitze ist heute ein wenig mühsam, weil der Schnee nicht mitspielt. Wir sind froh, dass Peter einen längeren Stopp bei den Bergrettern einlegt. Er klatscht mit Olaf Reinstadler ab, mit dem er nicht nur den Nachnamen gemeinsam hat. Beide sind Bergführer. Eigentlich war Olaf heute als Guide vorgesehen. Aber dann kam die Bergrettungsübung dazwischen. Der 57-Jährige hat uns dafür ein Treffen im Tal versprochen. Er kennt die Region wie kein anderer und hat viel zu erzählen: wie er Wege von Hand freischaufelt oder wie er weltbekannte Politiker auf die Berge führt.
Wir fahren ab und nähern uns bald schon Sulden, einem langgezogenen Ort mit einer Kirche, 17 Hotels, 300 Einwohnern und 2000 Gästebetten. Niemand weiß so recht warum, aber bereits im 13. Jahrhundert ließen sich hier die ersten Siedler nieder. Es waren zwei Brüder, die den Namen Reinstadler trugen. Noch heute heißt fast jeder im Ort so. In den Geschichtsbüchern ist von zwölf Bauernhöfen die Rede, als im 19. Jahrhundert neugierige Engländer auf Mauleseln kamen, um eine Ortler-Besteigung zu wagen. 1855 entstand mit dem Hotel Eller die erste Herberge, weil es der Pfarrer satthatte, die Fremden in seinem Haus unterzubringen. Eine Straße nach Sulden bauten die Südtiroler erst 1895.
Früher wollten die Leute vor allem im Sommer nach Sulden, um die hohen Berge zu besteigen. Heute kommen rund zwei Drittel der Gäste im Winter zum Skifahren. Ab Mitte Januar bis Mitte Februar ist Sulden für gewöhnlich in der Hand der Schweizer, die übers Unterengadin oder das Val Müstair anreisen und dann keinen weiten Weg mehr bis zum Ortler haben. Sie profitieren von einer hohen Schneesicherheit und der guten Infrastruktur. Die Bahnen sind modern, die knapp 50 Kilometer Pisten, von denen ein Drittel schwarz ist, gelten als anspruchsvoll. Einzig die Hütten lassen zu wünschen übrig – ungewöhnlich für Südtirol. Man stößt nur auf wenige Einkehrmöglichkeiten und muss sich meist mit Selbstbedienung zufriedengeben. Das Skigebiet befindet sich in Höhenregionen, in denen es keine Almen, folglich auch keine Hütten mehr gibt. Zudem liegt es im Nationalpark Stilfser Joch, einem der größten Naturschutzgebiete Europas, wo Eingriffe in die Natur und (Neu-)Bauten nur schwer möglich sind.
Da ist es besser, dass wir uns mit Olaf Reinstadler in einem Restaurant im Ort treffen. Er ist als Bergführer, Bergretter und Bäcker angepriesen. Aber die Backstube musste er dicht machen, nachdem sein Vater gestorben war, der bis zuletzt mithalf, Brot und Brötchen zu formen. Dennoch ist Olafs Programm anstrengend. Wenn er nicht mit Gästen am Berg ist, entwirft er mal schnell die Ortler-Höhenrunde und schaufelt fehlende Wegverbindungen selbst. Im Dorf hat er einen Kultur-Spaziergang mit sieben Stationen und einen Pfad für Kinder aus dem Boden gestampft. „Wenn ich sehe, dass was fehlt, muss ich die Initiative ergreifen.“ Im Winter arbeitet Olaf, dessen Uroma aus Interlaken stammte, auch als Loipenfahrer. Einen Job in der Politik kann er sich nicht vorstellen. „Ich bin eher fürs Grobe, nicht so für Diplomatie.“ Dabei könnte er von einem ganz speziellen Gast lernen. Angela Merkel war bereits mehr als ein Dutzend Mal zum Wandern in Sulden. Olaf hatte sie bei Gletschertouren am Seil. „Sie hat eine erstaunliche Kondition. Erst wenn der Bergführer Schluss
sagt, hört sie auf zu laufen.“
Der bescheidene Olaf passt perfekt nach Sulden. Der Ort könnte auf mondän machen. Er hat den höchsten Berg, das Skigebiet öffnet lange vor den anderen und schließt erst, wenn der Rest des Landes sich schon an der Apfelblüte erfreut. Prominente Gäste wie Angela Merkel oder Michael Jackson, der sich mal eine ganze Woche in Sulden versteckte, hängt man nicht an die große Glocke. Es gibt keine Edel-Boutiquen, keine Luxushotels, keine Sterne-Restaurants. Stattdessen familiengeführte Unterkünfte, Dorfläden und junge Burschen, die sich ins Abenteuer stürzen. So wie Thomas und Daniel Blasbichler. Sie haben das Restaurant „Yak und Yeti“ übernommen, ein Haus aus dem 16. Jahrhundert, vermutlich das älteste im Dorf. Das Feuer im Kamin brennt den ganzen Tag, um die dicken Mauern aufzuheizen. Mit der Pacht haben sie gleichzeitig eine Herde von 13 Yaks übernommen. Thomas geht raus zum Füttern. Als erste eilen Fred, Gabi und Heidi herbei und stürzen sich auf das frische Heu. Von der Weide bis zum Teller müssen die Brüder alles managen. Ausgedacht hat sich das Reinhold Messner, der das Restaurant besitzt und daneben das „Ortles“ gebaut hat – eines von sechs Museen unter seiner Regie. Hier in Sulden geht es neben der Erstbesteigung des Ortlers vor allem um die Themen Eis und Gletscher. Das Haus ist aber mehr Kunstgalerie als Museum. Zu den wertvollsten Werken zählen Gemälde des Engländers E.T. Compton. Es ist eine wilde Schau quer durch die Welt der Berge und der Pole, die zum Pflichtprogramm für Sulden-Besucher gehört. Neben dem Museum hat Messner mittlerweile auch ein Wohnhaus. Seine Nachbarn gehen davon aus, dass er Sulden alsbald zu seinem Lebensmittelpunkt macht und mit seiner neuen Ehefrau endgültig herzieht. Dann würden die berühmtesten Einwohner des Tals nach 800 Jahren plötzlich nicht mehr Reinstadler, sondern Messner heißen.
Christian Schreiber
ANREISE
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Zug und Bus) ist Sulden leider schwer erreichbar. Per Auto über Nauders, Reschenpass/Reschensee. Ab Glurns auf SP50 nach Prad und die finalen Kilometer auf SS38 nach Gomagoi, wo die SS622 nach Sulden abzweigt.
UNTERKUNFT
Hotel Cristallo: modernes, renoviertes Haus mit viel Komfort und ausgezeichneter Küche.
DZ ab 90 € p. P./Nacht. www.cristallosulden.it
ESSEN UND TRINKEN
Thomas und Daniel Blasbichler betreiben das Restaurant „Yak und Yeti“. Das Haus stammt aus dem 16. Jahrhundert, ist vermutlich das älteste im Dorf. Mit der Pacht haben die beiden Brüder gleichzeitig eine Herde von 13 Yaks übernommen, deren Fleisch natürlich auf der Karte steht. https://yak-yeti-restaurant.business.site
KULTUR
Das „Ortles“ in Sulden ist eines von sechs Museen in Südtirol unter Regie des ehemaligen Extrem-Bergsteigers Reinhold Messner. Wobei dieses Haus mehr Kunstgalerie als Museum ist. Es beinhaltet eine wilde Schau quer durch die Welt der Berge und der Pole, die zum Pflichtprogramm für Sulden-Besucher gehört. Neben dem Museum hat Messner mittlerweile auch ein Wohnhaus. www.messner-mountain-museum.it
Die Reise wurde unterstützt von IDM Südtirol. (cs)