Eine Reportage über einen romantischen Inseltrip nach „Mallorca-Südost“
Kreta, Malta oder Zypern – das sind meine bevorzugten Reiseziele, zumindest was einen schnellen Inseltrip im Mittelmeerraum betrifft. Jetzt ist meine Frau mit einer absonderlichen Idee an mich herangetreten. „Schau mal hier im Katalog! Wie findest du dieses Hotel auf Mallorca? In dieser tollen Bucht!“ „Mallorca“, fragte ich sehr verwundert, und durch den Kopf schossen mir Begriffe wie Ballermann, El Arenal und Partyinsel. Ich überlegte scharf: „Ich kenne meine Frau seit vielen Jahren – was hat sie sich wohl gedacht?“ Die Cala Santanyí machte auf dem Urlaubsfoto mit türkisfarbenem Wasser einen guten Eindruck, ein bisschen eng für meinen Geschmack. Und wozu gibt es Reiseführer? In der städtischen Buchhandlung um die Ecke entdeckte ich ein Mallorca-Handbuch. Erstaunliches war zu lesen: Wanderungen durch Landschaften wie das Sóller-Tal, Vogelbeobachtungen im Nationalpark S´Albufera und Radtouren entlang von Salinenfelder locken auf die Baleareninsel, ergänzt um den Besuch einer kilometerlangen Tropfsteinhöhle bei Porto Christo, der mit einem Konzert auf einem unterirdischen See seinen Höhepunkt findet.
Kurzum: Die Buchung des einwöchigen Mallorca-Inseltrips war somit reine Formsache. Es ging nach „Mallorca-Südost“, genauer in die Cala Santanyí: eine Bucht mit wenigen Hotels, mit steil aufragenden Klippen, von Kiefern besiedelt, und einem Sandstrand, der nur eine Länge von 90 Metern misst. Vor der Bucht ankern täglich neue Yachten, deren Besatzungen tagsüber das Baden lieben und nachts an Deck feiern. Wie idyllisch! Jetzt in der Nebensaison sind die Strandbesucher überschaubar, der Sandstrand fällt langsam nach unten ab, sodass sich kleinere, flachere Becken am Rande der Bucht durch viel Geröll gebildet haben und in denen kleine Fischschwärme und Krebse leben – genau das Richtige für Familien mit kleinen Kindern.
Es Pontás – das Abenteuer ruft!
Nach unzähligen von Hand erschaffenen Sandburgen dürstet es so manchen Vater doch ein wenig nach Abenteuern – mit bloßem Auge lässt sich eine Grotte unter einer Klippe ausmachen, in die Badende hinein- und wieder hinausschwimmen. Darüber finden sich regelmäßig Wagemutige ein, die etliche Meter tief ins Meer springen. Ein kleiner Ausflug mit dem Sportboot wäre jetzt genau das Richtige: Ich treffe Pablo, der mit mir zusammen eine Tour entlang der Küste und zu ausgewählten Grotten machen will. Der 28-Jährige startet seinen leisen Motor bei kühlem Südostwind, der Dieselgeruch steigt mir in die Nase und nach wenigen Minuten erreichen wir das offene Meer. Sofort geht mein Blick auf die steilen, zerklüfteten Klippen. In roten, gelben und weißen Farbtönen scheinen sie zu grüßen, immer wieder unterbrochen von herabgestürzten, riesigen Felsbrocken und eingestürzten Grotten. Das Kalkgestein ist derart wasserlöslich, dass über viele Jahre bizarre Verformungen entstehen. „Hier sieh mal“, sagt mein Kapitän, „ein Pilz im Wasser!“ Und ergänzt: „Jedes Jahr verschwindet ein Stück Mallorca.” Highlight ist Es Pontás, ein natürlich entstandenes Felsentor, mitten im Meer. Allein das ist schon sehr sehenswert, aber Boulderer (wie das jetzt heißt), von denen es hier sehr viele gibt, können das noch toppen: sie schwimmen zum Felsentor, klettern die 15 Meter hohe Es Pontás ungesichert (unter ihnen ist das Meer) und kopfüber hoch, um sich dann wieder in die seichten Fluten zu stürzen und an Land zu schwimmen. Der US-Amerikaner Chris Sharma, einer der weltbesten Sportkletterer, hat das vorgemacht und meint, dass diese Herausforderung zu der schwierigsten und schönsten in der Welt gehört: The King Line. Sein Kletter-Video ist auf Youtube zu bestaunen.
In welche Bucht darf es gehen?
Hinein geht es mit dem Boot danach in unzählige Grotten, jede zeigt ein anderes Farbenspiel, mal sind Grün- und Rottöne an der Decke zu sehen, dann mal kurz oberhalb der Wasseroberfläche. Mal wirft die Sonne einen langen Schatten, mal zeigen sich reflektierende Lichtpunkte des Wassers an der Grottendecke, die wie Sterne funkeln. Genug gesehen und erzählt, denkt sich Pablo, und steuert die Calas, spanisch für Buchten, im Südosten Mallorcas an. Der Dumont-Reiseführer zählt rund 50 Calas in ganz Mallorca, ein paar Kilometer von der Cala Santanyí entfernt, stehen folgende zur Auswahl an: Cala Llombards, Caló d`en Ferrà, Cala sÀlmonia, Cala Figuera und Cala Mondragó. Pablo entscheidet sich für die Caló des Moro (Bucht des Mauren), die meine Lieblingsbucht werden sollte. Sie ist vom Meer nicht einsehbar und verläuft stattdessen im rechten Winkel, was sehr angenehm ist, wenn der Wind kräftig weht wie heute. In der Regel besteht nur ein äußerst geringer Wellengang, was das Schnorcheln erheblich erleichtert. Mein Bootsführer wirft den Anker aus und ich tauche ein wenig ab, um vor einem sandig-hellen Untergrund mit den silbergrauen Brandbrassen (Oblada melanura), eine Barsch-Art mit einem charakteristischen schwarzen Fleck auf dem Schwanzflossenstiel, um die Wette zu schwimmen. Versteckt in braunen Algen bewegen sich gemächlich die schwarz-braunen Schriftbarsche, in den beiden Grotten lässt sich das Gestein in Rot, Gelb und Grün genauestens untersuchen. Ein Hauch von Karibik kommt bei mir auf.
Alles im Gleichgewicht?
Das Schnorcheln könnte ewig so weiter gehen, aber auch Pablo möchte zur Cala Santanyí zurück. Noch ein Blick zurück zur engen Bucht, die mit großen roten Kalksteinen gesäumt ist und weder Cafés noch Restaurants oder Hotels beherbergt, und dann geht es rasant hinweg über wogende Wellen in die Urlaubsheimat. Dort angekommen, steht ein kurzer Trip zur Es Pontás aus Vogelperspektive an. Nach fünf Gehminuten ist el mirador, der Aussichtspunkt, auf der Klippe erreicht. Von hier aus lässt sich nun in aller Ruhe das Felsentor, umgeben von türkisfarbenem Meerwasser und schäumenden Wellen, in seiner ganzen Schönheit betrachten. Ein paar Meter daneben staunt der Spaziergänger über eine sechs Meter hohe Steinskulptur, die von unzähligen kleinen Steinmännchen – so scheint es – begleitet wird. Sie heißt „Equilibrio Süd“ und stammt vom deutschen Künstler Rolf Schaffner (1927-2008), der seit 1962 mit Unterbrechungen auf Mallorca lebte. Das Kunstwerk erinnert an taulas, Stelen der prähistorischen Megalithkultur auf den Balearen, und ist gleichzeitig Teil des Schaffner- Projektes „equilibrio“ (Gleichgewicht), mit dem der Künstler gegen den Zeitgeist und die menschliche Unverantwortung protestieren wollte. Zusammen mit den vielen kleinen Steinfiguren, die vorbeigehende Betrachter geschaffen haben, scheint ihm das ein stückweit gelungen zu sein.
Zweierlei konnte ich aus dem Kurztrip nach Mallorca-Südost mitnehmen: Schnorcheln ist jetzt mein neues Hobby geworden und die Erkenntnis, dass es doch wichtig ist, manchmal auf seine Frau zu hören.
Stefan Raab